Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit ab 1.1.2016
Das Gesetz zur Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung (Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz – BGStG) dient dem Ziel Diskriminierungen von Menschen mit Behinderung entgegenzuwirken, sowohl direkte als auch indirekte Diskriminierungen sind davon erfasst. Indirekte Diskriminierungen spielen besonders im Zusammenhang mit Barrierefreiheit eine entscheidende Rolle. Das Gesetz statuiert die Verpflichtung, Zugänge zu Dienstleistungen und Waren, welche an die Öffentlichkeit gerichtet sind, barrierefrei zu ermöglichen. Das Gesetz trat am 1.1.2006 in Kraft, in der nunmehr 10 jährigen Übergangszeit hätte die Herstellung der Barrierefreiheit von Unternehmen bewirkt werden sollen.
Was kann man unter Barriere und Barrierefreiheit verstehen?
Die Bedeutung des Begriffs „Barrierefreiheit“ ergibt sich aus dem Ziel die Diskriminierung von Personen mit Behinderungen hintanzusetzen. Oftmals werden Personen mit Behinderung aufgrund verschiedener Umstände in ihrer Umwelt indirekt diskriminiert. Solche indirekten Diskriminierungen führen zu Barrieren. Beispielsweise stellt eine bauliche Anlage, welche nicht rollstuhlgerecht angelegt wurde, eine Barriere dar, weil damit einer Person mit Behinderung der Zugang zu jener baulichen Anlage verwehrt wird. Ein anderes Beispiel für Barrieren bilden generell festgelegte Hundeverbote in Hausordnungen, da Personen, welche ihr tägliches Leben mit Blinden-Hunden beschreiten, somit von vornherein ausgeschlossen werden.
Wer muss für Barrierefreiheit sorgen?
Personen, die Waren und Dienstleistungen anbieten, sind grundsätzlich dazu verpflichtet Barrierefreiheit herzustellen. So müssen Betreiber von z.B. Restaurants, Friseursalons oder von Lebensmittelgeschäften Umstände, welche Barrieren begründen, beseitigen. Diese Pflicht bezieht sich nicht nur auf barrierefreie Zugangsmöglichkeiten zu den entsprechenden Einrichtungen, sondern auch auf sanitäre Anlagen, wenn solche auch Personen ohne Behinderung zugänglich sind.
Wer wird geschützt?
Zunächst sollen Personen mit Behinderung geschützt werden. Als "Behinderung" definiert das Gesetz die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Zudem werden Personen, die in einem Naheverhältnis zu Personen mit Behinderung stehen, ebenfalls vom Schutzzweck des Gesetzes umfasst, wenn sich die Diskriminierung der Person mit Behinderung auch auf sie selbst auswirkt. Wenn z.B. zwei Lebensgefährten, von denen einer/eine einen Rollstuhl zur Fortbewegung benötigt, sich ein Konzert in einem Lokal anhören wollen, dies aber nicht können, weil das Lokal nicht rollstuhlgerecht ist, so sind beide Lebensgefährten anspruchsberechtigt.
Herstellung der Barrierefreiheit – Verpflichtung ab 1.1.2016
Bestehende Barrieren mussten grundsätzlich verpflichtend bis zum 1.1.2016 entfernt werden (siehe Ausnahmen). Eine bauliche oder eine sonstige Anlage gilt dann als barrierefrei, wenn sie so ausgestaltet ist, dass Personen mit Behinderung der Zugang zur Anlage und deren Nutzung eröffnet ist. Wesentlich ist dabei, dass die Zugänglichkeit und Nutzung ohne ungewöhnliche Erschwernis und prinzipiell ohne fremde Hilfe möglich ist.
Welche Rechtsfolgen hat eine Pflichtverletzung?
1. Grundsätzlich kann nicht auf Herstellung der Barrierefreiheit geklagt werden.
2. Bei Verletzung des Gesetzes sind die betroffenen Personen auf das Schadenersatzrecht zu verweisen. Die geschädigte Person kann neben dem tatsächlich entstandenen Schaden auch immaterielle Schäden geltend machen. Diese immateriellen Schäden werden nach Ermessen des Richters im Einzelfall beziffert. Will eine geschädigte Person auf Schadenersatz klagen, muss diese nur beweisen, dass eine Diskriminierung vorliegt.
3. Neben der Schadenersatzklage besteht die Möglichkeit eine Verbandsklage zu erheben. Diese Klage richtet sich auf die Feststellung der Diskriminierung bezüglich einer Behinderung. Wird eine solche Diskriminierung festgestellt, können sich betroffene auf diese Feststellung berufen.
4. Der Rechtsprechung zum Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) folgend handelt derjenige, der durch die pflichtwidrige Unterlassung der Herstellung der Barrierefreiheit sich einen Wettbewerbsvorteil im Verhältnis zu anderen Verpflichteten verschafft (z.B. zwei Restaurants in derselben Straße), unzulässig. Gesetzestreue Mitbewerber können deshalb die Unterlassung des Anbietens von Waren und Dienstleistungen in der nicht barrierefreien Anlage ihres pflichtwidrig handelnden Mitbewerbers verlangen.
Achtung: Ausnahmen von der Verpflichtung
Ausnahmen von der Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit bestehen einerseits, wenn es rechtswidrig wäre die Barriere zu beseitigen, und andererseits, wenn die Herstellung der Barrierefreiheit zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen würde.
Beispielsweise würde die Errichtung einer Rampe auf fremdem Grund ohne Zustimmung des Eigentümers rechtswidrig sein. Außerdem können Veränderungen von denkmalgeschützten Anlagen Rechtswidrigkeit bewirken.
Da ein Umbau einer Anlage zur Barrierefreiheit mitunter finanziell stark belastend sein kann, bestimmt das Gesetz, dass die Herstellung der Barrierefreiheit nicht mit unverhältnismäßigen Belastungen verbunden sein darf. Diese Verhältnismäßigkeit muss im Einzelfall durch Interessensabwägung festgestellt werden. Das Gesetz nennt beispielhaft Kriterien, welche in der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden sollen. So wird z.B. explizit das Verhältnis zwischen dem Kostenaufwand und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des vermeintlich Verpflichteten erwähnt. Wesentlich bei der Interessensabwägung ist auch die Frage, wie viele Menschen mit Behinderung von der zu beurteilenden Barriere betroffen sind. Sind viele Menschen davon betroffen, ist es wahrscheinlicher, dass eine Barriere beseitigt werden muss. Fehlen in einem Dorf hingegen alternative Ausweichmöglichkeiten, z.B. im Hinblick auf das einzige Dorfrestaurant, so ist die Anzahl der betroffenen Personen nicht so bedeutend.
Beachtenswert ist allerdings, dass selbst, wenn eine unverhältnismäßige Belastung nach Beurteilung der Sachlage vorliegen sollte, zumutbare Maßnahmen unabhängig davon getroffen werden müssen. Es soll dadurch die bestmögliche Verbesserung der Situation bewirkt werden und somit zumindest eine Annäherung an Gleichberechtigung geschaffen werden. Ein Beispiel: Einem Arzt ist es nicht zumutbar einen Lift in ein Altbau Gebäude einbauen zu lassen, damit seine Patienten zu ihm barrierefrei in den zweiten Stock gelangen können. Eine zumutbare Maßnahme in diesem Falle wäre es, Personal zur Begleitung der Patienten zur Verfügung zu stellen. Werden solche Maßnahmen unterlassen, liegt eine Diskriminierung im Sinne des Gesetzes vor und damit eine Gesetzesverletzung. Für diese muss der Verpflichtete einstehen.
Zusammenfassung für die Praxis
Insofern Unternehmen deren bauliche Anlagen noch nicht barrierefrei gemacht haben, gilt es abzuwägen, ob die Herstellung der Barrierefreiheit rechtlich möglich und wirtschaftlich nicht unverhältnismäßig belastend ist. Verneint man diese Kriterien, so müssen trotzdem zumutbare Maßnahmen getroffen werden, welche eine bestmögliche Verbesserung der Situation ermöglichen. Es soll die Barrierefreiheit auch in diesem Fall so weit wie möglich verwirklicht werden. Die Rechtsfolgen einer Gesetzesverletzung sind im Wesentlichen Schadenersatzansprüche der Betroffenen gegen die pflichtwidrig handelnden Unternehmen.